Geschlechtssensible Medizin: Warum Frauen anders gesund sind

Ein neuer Blick auf Gesundheit und Frauengesundheit

Gesundheit ist nicht neutral, sie ist geschlechtsspezifisch geprägt. Jahrzehntelang wurde die medizinische Forschung überwiegend an Männern durchgeführt. Medikamente wurden meist an männlichen Probanden getestet, und Krankheitssymptome orientierten sich am „männlichen Normalfall“. Doch der weibliche Körper unterscheidet sich deutlich, nicht nur durch Hormone, sondern auch im Zellstoffwechsel, in der Immunantwort, bei der Wirkung von Medikamenten und im Krankheitsverlauf.

Die geschlechtssensible Medizin (auch Gender-Medizin genannt) hat das Ziel, diese Unterschiede zu erkennen, zu verstehen und in Forschung, Diagnostik, Therapie und Prävention zu integrieren. Sie bildet damit die Grundlage für eine moderne, individualisierte und gerechte Medizin für Frauen und Männer.

Ursprünge und Entwicklung der geschlechtssensiblen Medizin

Die Wurzelnder geschlechtssensiblen Medizin reichen in die 1980er-Jahre zurück.Damals wurde zunehmend kritisiert, dass Frauenin klinischen Studien kaumvertreten waren. Die Folge: Viele Medikamente waren nichtoptimal auf Frauen abgestimmt,was zu unerwarteten Nebenwirkungen führte.

In den 1990er-Jahren reagierten die USA mit Richtlinien zur Einbeziehung beider Geschlechter in Studien. Die „Women’s Health Initiative“ von 1992 markierte einen Wendepunkt in der Frauengesundheitsforschung. Ziel war es, die Datenlücke für Frauen zu schließen, zunächst mit Fokus auf das biologische Geschlecht (Sex). Das soziale Geschlecht (Gender) wurde erst später einbezogen.

In Europa gewann das Thema um die Jahrtausendwende an Bedeutung, insbesondere durch EU-Forschungsinitiativen wie „Gender Health“. Heute ist die geschlechtssensible Medizin ein fester Bestandteil moderner Gesundheitsforschung. Universitäten bieten spezialisierte Lehrstühle, und Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin (DGesGM) fördernden wissenschaftlichen Austausch. Eine Schlüsselfigur ist Prof. Vera Regitz-Zagrosek, die wesentlich dazu beitrug, dass sowohl biologische als auch soziokulturelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Forschung und Praxis berücksichtigt werden.

Warum Frauen anders erkranken – biologische und hormonelle Unterschiede

  1. Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen
    Der Herzinfarkt gilt noch immer als „Männerkrankheit“. Doch Frauen sterben häufiger daran, weil ihre Symptome oft anders aussehen: Statt typischer Brustschmerzen leiden viele unter Atemnot, Übelkeit oder Rückenschmerzen. Diese „atypischen“ Anzeichen führen häufig zu Fehldiagnosen oder verspäteter Behandlung. Dies ist ein zentrales Beispiel für die Notwendigkeit geschlechtssensibler Medizin.
  2. Stoffwechsel und Medikamente
    Frauen verstoffwechseln Medikamente anders. Durch geringeres Körpergewicht, höheren Fettanteil und hormonelle Schwankungen wirken Arzneien bei Frauen oft stärker oder länger.
    Dosierungen, die für Männer unbedenklich sind, können bei Frauen Nebenwirkungen auslösen. Dies stellt ein wichtiges Argument für geschlechtsspezifische Dosierungsempfehlungen dar.
  3. Autoimmunerkrankungen
    Frauen sind deutlich häufiger betroffen – etwa von Hashimoto-Thyreoiditis, Rheuma oder Multipler Sklerose. Das weibliche Immunsystem reagiert aktiver: Es schützt besser vor Infektionen, erhöht aber auch das Risiko für überschießende Immunreaktionen.
  4. Psychische Gesundheit und Depressionen
    Hormonelle Einflüsse, soziale Rollenbilder und Stressverarbeitung unterscheiden sich zwischen den Geschlechtern. Frauen erkranken häufiger an Depressionen, während Männer öfter Suchterkrankungen entwickeln. Prävention und Therapie müssen daher geschlechtssensibel und individuell gestaltet werden.

Gesundheitsförderung und Prävention für Frauen

Eine geschlechtssensible Gesundheitsvorsorge stärkt Frauen langfristig. Wichtige Bausteine sind:

  • Bewegung: Frauen haben ein höheres Risiko für Osteoporose. Krafttraining stärkt Muskeln und Knochen gleichermaßen.
  • Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit Eisen, Kalzium und Omega-3-Fettsäuren unterstützt Energiehaushalt, Knochen- und Herzgesundheit.
  • Hormonbalance: Zyklus, Schwangerschaft und Wechseljahre beeinflussen Stoffwechsel, Stimmung und Leistungsfähigkeit. Ein bewusster Umgang mit diesen Phasen fördert das Wohlbefinden.
  • Vorsorgeuntersuchungen: Regelmäßige Screeningprogramme wie Brustkrebsfrüherkennung oder Herz-Kreislauf-Checks sind entscheidend für die Frauengesundheit.

Zukunft der geschlechtssensiblen Medizin

Die Gender-Medizin entwickelt sich rasant weiter. Immer mehr Studien erfassen systematisch Unterschiede zwischen Frauen und Männern.
Neue Technologien wie künstliche Intelligenz oder personalisierte Medizin eröffnen zusätzliche Chancen – vorausgesetzt, die Datengrundlage berücksichtigt beide Geschlechter gleichermaßen.

Ziel ist nicht, strikt zwischen „männlich“ und „weiblich“ zu trennen, sondern eine individualisierte Medizin zu schaffen, die biologische, hormonelle und soziale Faktoren ganzheitlich einbezieht.
So wird Gesundheit endlich gerecht, personalisiert und geschlechtssensibel gedacht.